Redebeitrag - Kölner Menschenrechtsfestival - 07. Juli 2013

​Instrumentalisierung der Menschenrechte

Liebe Menschen,

ich will Euch gar nicht langweilen. Kesher stehen ja schon bereit. Nun ist es an mir, etwas Sinnvolles zum breiten Thema der Menschenrechte zu sagen und uns alle daran zu erinnern, dass wir ja nicht nur wegen des guten Wetters und der Musik heute hier zusammengekommen sind. Ich bin kein Experte, geschweige denn ein Redner und habe auch nur zwei Textseiten vorzutragen; nochmal von vorne also:

Liebe Menschen,

gibt es eine bessere Anrede als diese? In diesen politisch mal mehr, mal weniger korrekten Zeiten darf sich hier jetzt ausnahmsweise jede bzw. jeder angesprochen fühlen, die bzw. der sich als Mensch fühlt. Und wer würde sich hier nicht angesprochen fühlen wollen? Gibt es hier einen Menschen, der sich, als Mensch, nicht angesprochen fühlt? Gut! Und damit wären wir ja beinahe schon beim eigentlichen Kern der heutigen Veranstaltung, die zum Ziel hat, dass wir uns die Idee der Menschenrechte neu in Erinnerung rufen und uns der normativen Kraft bewusst werden, die den Menschenrechten innewohnt. Wir wollen also nicht von Bürgerinnen und Bürgern, nicht von Damen und Herren, nicht von Groß und Klein, nicht von Dumm und Schlau und Dick und Dünn sprechen. Wir wollen, liebe Menschen, nicht darüber reden, welche Staatsangehörigkeit, wer besitzt, wer die reicheren Eltern hat und wer wen wieso und warum liebt usw.! Wir wollen vielmehr mit einer Stimme sprechen und uns alle meinen. Und wenn wir vom Menschen bzw. von Menschenrechten sprechen, dann sprechen wir, ob bewusst oder unbewusst mit einer Stimme, von derselben Sache, nämlich von uns. Art. 1 AEMR: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ In der Schule lernen wir, und ich denke, dass ich da für einige von uns sprechen kann, so gut wie gar nichts über die Menschenrechte. Jost Stellmacher hat dieses Phänomen in seiner Studie Menschenrechte und Menschenrechtsbildung im Allerweltshaus ausführlich dargelegt. In der Schule, und auch darüber hinaus, lernen wir, und das ist vielleicht auch eine direkte Folge der fehlenden Menschenrechtsbildung, gemeinhin das Unterscheiden, das notwendige Anderssein, im Zweifelsfall sogar das unsolidarische Konkurrieren um die bessere, partikulare Startposition im globalisierten Wettbewerb der Arbeitswelt. Und genau mit diesen, wie es heute heißt, Kompetenzen, fügen wir uns – so meine These – perfekt in das Herrschaftsmodell ein, das auf dem Prinzip Teile und Herrsche basiert. Ein Herrschaftsmodell, das, wie Sarazin und Frontex beweisen, mit den Methoden von Ausschluss und Entmenschlichung funktioniert. Hören wir dann ab und zu mal das Wort Menschenrechte, rufen wir alle sofort „na klar“, „total wichtig“, „ja, da bin ich auch für“. Wir haben halt einfach unseren Text gut gelernt, unser Gehör für Menschenrechte medial von den Politikerinnen und Politikern übernommen, die das Wort Menschenrechte seit jeher rhetorisch vor sich hertragen. Aber was sagen uns die Menschenrechte? Wie lauten sie im Detail? Und welche Konsequenzen ergeben sich aus ihnen und aus ihrer Nicht-Beachtung? Ein Beispiel: Vor kurzem hatte ich die zweifelhafte Ehre Guido Westerwelle in Bonn reden zu hören. Er erzählte, von seinen Staatsbesuchen in Panama und Singapur. Er schwärmte von der Verbreiterung des Panamakanals (kein Witz!) und der zügigen Fertigstellung zahlreicher moderner Wolkenkratzer in Singapur. Er müsse sich, so sagte er sinngemäß und schmunzelte, zurück in Deutschland immer daran gewöhnen, dass Bauprojekte wie Flughäfen und Bahnhöfe hier halt so seine Zeit bräuchten. Er schloss mit der mahnenden Erkenntnis eines FDPPolitikers, dass wir „schneller“ werden müssen. Was immer das auch heißt!? Das fand ich so grandios verkürzt gedacht, dass ich jetzt nicht umhin komme ein paar Infos von Amnesty International nachzuschieben: Im Jahr 2012 wurden in Panama mehrere Menschen, v.a. Gewerkschafter bei Protestaktionen getötet oder verletzt. Die Behörden sorgten nicht dafür, dass effektive Untersuchungen durchgeführt und die für den Tod von Demonstrierenden Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. In Singapur gelten – Stand 2013 - noch immer die Todesstrafe und die gesetzliche Prügelstrafe. Von Versammlungsfreiheit fehlt jede Spur. Menschenrechte werden halt schlichtweg nicht angeführt, wenn sie gerade nicht in die eigene politische Tagesordnung passen. Wie verhält sich z.B. die europäische Dublin-IIVerordnung zu Artikel 14 der AEMR, in der es heißt: „Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen“? Besonders populär sind die Menschenrechte bei Entscheidungsträgern vor allem dann, wenn sie dazu dienen, andere Entscheidungsträger zu kritisieren. Die türkische Polizei gehe unverhältnismäßig gegen die Demonstranten vor, berichtet Claudia Roth von den Grünen live aus Istanbul, während ihre Parteikolleginnen und Kollegen aus der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Main einen Polizeieinsatz mittragen, der die Versammlungsfreiheit der Blockupy-Aktivisten brutal missachtet. Menschenrechte werden gerne und oft von den Falschen instrumentalisiert. Kriege werden so legitimiert, politische Versäumnisse, Menschenrechtsverletzungen im eigenen Verantwortungsbereich werden, gerade in Deutschland, lieber verschwiegen. Immer muss es deshalb auch darum gehen, wer was wann sagt. Lieber Adnan, Dein Projekt arbeitet gegen das herrschende Prinzip von Teile und Herrsche und für ein universelles Sprechen von Rechten. Dein Projekt zeigt auf, wem es wirklich ernst ist mit den Menschenrechten und dass auch vor unserer eigenen Haustür Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Dein Projekt lehrt uns, dass ein Angriff auf einen Menschen, egal wo, immer auch ein Angriff auf uns alle ist und dass nicht immer Menschenrechte drin sind, wo Menschenrechte drauf stehen. Ich kann Dir und Deinem Team zu diesem wunderbar notwendigen Festival nur gratulieren. Vielen Dank. Und jetzt Kesher!

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